Unser tägliches Brot

Brot wird aus Getreide gemacht, keine Frage
Seine Herkunft führt uns weit in die Vergangenheit. 

Vor mehr als 12.000 Jahren, mit dem Beginn der Jungsteinzeit, kam es zu einer der wohl grundlegendsten Neuerungen der Menschheitsgeschichte: dem Anfang der Landwirtschaft. Zuvor wilde Pflanzen wurden gezielt in Kultur angebaut, Felder bestellt, geerntet und Vorräte für den Winter eingelagert. Der neue Lebensstil war weniger mobil im Vergleich zum umherziehenden Jäger und Sammler, konnte dafür aber auf kleinerem Raum mehr Menschen ernähren. Diesen, als Neolithische Transition bezeichneten, Wandel verorten wir in den Nahen Osten. Hier finden sich die ältesten Hinweise in frühen Formen von Ackerbau und Viehzucht und den ersten kleinen Dörfern und Siedlungen. Dort wachsen heute noch eben jene wilden Gräser, deren Vorfahren vor langer Zeit als Urväter unserer modernen Getreide Geschichte machten. Vielleicht war es sogar das Brot, welches den Menschen in die Sesshaftigkeit führte, vielleicht auch das Bier. Wir wissen es nicht. Sicher ist aber, dass Gerste und Weizen zu den ersten Kulturpflanzen gehörten. Roggen hingegen fand vermutlich seinen ganz eigenen Weg auf unsere Felder.

Doch schon, als unsere Vorfahren noch als Nomaden umherzogen und vom Jagen und Sammeln lebten, waren wilde Gräser ein begehrtes Gut. Eine bemerkenswerte archäologische Fundstätte am See Genezareth liefert dafür 23.000 Jahre alte Hinweise. Israelische Archäologen stießen hier in Ohalo II auf zahlreiche Überreste verschiedener Wildgetreide. Und nicht nur das: Mahlsteine zeigen, dass die Getreide auch verarbeitet wurden – vermutlich zu Brot. 

Bis die Landwirtschaft aber endgültig ihren Siegeszug antrat, sollten noch einige Jahrtausende vergehen. Zunächst war Europa noch fest in der Hand der letzten großen Eiszeit. Erst mit Beginn des Holozäns rund 10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung erreichte uns ein länger währendes warmes und feuchtes Klima. Die idealen Bedingungen für eine üppige Vegetation, die uns für die gezielte Kultivierung, der seit Langem wichtigen Gräser, in die Hände spielte.

Die Pflanzen und Tiere, die zu einem unmittelbaren Bestandteil unserer menschlichen Lebenswelt wurden, begannen sich immer mehr von ihren wilden Verwandten zu unterscheiden. Im Laufe der Zeit setzten sich so eben jene Merkmale durch, die für das Zusammenleben mit dem Menschen vorteilhaft waren. Diesen Prozess der Inkulturnahme von Pflanzen und Tieren bezeichnen wir als Domestikation. Vielen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen haben wir unser heutiges Wissen zu verdanken, die dieses komplexe Zusammenspiel vielfältigster Faktoren zu einem großen Bild zusammensetzen.

In den vergangenen Jahren konnte insbesondere die Analyse des Erbgutes von tierischen und menschlichen Überresten aus archäologischen Fundstätten Antworten auf einige der offenen Fragen liefern, die sich aus den klassischen Disziplinen wie Archäologie und Anthropologie allein nicht klären ließen. Generation für Generation wird die DNA von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben. Dabei kommt es durch die immer neue Kombination und zufällige Mutationen ständig zu geringfügigen Änderungen, die uns weit mehr als nur die Geschichte eines einzelnen Individuums erzählen können. 
 
Knochen und Zähne bieten dem Erbgut vergleichsweise robuste Behältnisse und ermöglichen uns direkte Einblicke in vergangene Jahrtausende. Pflanzen jedoch überdauern eine solch lange Zeit nur unter besonderen Bedingungen. Meist sind es verbrannte Überreste, die Archäobotanikern erzählen, welche Pflanzen unsere Vorfahren genutzt haben. Durch das Verbrennen bleibt zwar das Aussehen erhalten, nicht aber die DNA. 

Biologische Anthropologie

Kurz bevor ich an das Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben kam, um dort im Rahmen meiner Promotion die Domestikationsgeschichte unserer Getreide zu beleuchten, war es erstmals gelungen DNA aus 6000 Jahre alten Gerstenkörnern zu untersuchen. In einer Höhle der bekannten israelischen Fundstätte Masada westlich des Toten Meeres fanden sich erstaunlich gut erhaltene Getreidekörner. 
Nicht nur der Erhaltungsgrad der Körner verhalf zum Erfolg der Untersuchung des Erbgutes jener alten Proben. Erst durch die rasanten Fortschritte bei der Sequenzierung ganzer Genome, also der Entschlüsselung des genetischen Codes, wurde eine solche Analyse auch im Falle hochkomplexer Getreidegenome möglich.
Es mag erstaunlich erscheinen, doch die Genome unserer Getreide sind um ein Vielfaches größer als das des Menschen; und sie bestehen zum Großteil aus Wiederholungen. Ein gigantisches Puzzle mit Tausenden identischen Teilen. 

Die Proben aus Masada zusammen mit 3000 Jahre alten Proben einer weiteren Fundstätte aus dem Süden Israels zeigten mir, dass sich Gerste in den letzten 6000 Jahren in Israel kaum verändert hat. Da sich Gerste, wie Weizen auch, selbst befruchtet, ist es für uns Menschen vergleichsweise leicht, die einmal an die menschliche Kultur angepassten Pflanzen von Generation zu Generation zu erhalten, ohne Gefahr zu laufen, durch Vermischung ständig neuen Veränderungen gegenüberzustehen. 

Schwieriger wird es bei Pflanzen, die zur Bestäubung auf ihre anderen Artgenossen angewiesen sind – wie unser Roggen.
Roggen stellt die Wissenschaft seit Langem vor ein Rätsel und viele Theorien ranken sich um seine Domestikationsgeschichte. Der wilde Vorfahre dieses in Europa so wichtigen Getreides ist noch heute in Südwestasien beheimatet, wie die seiner engen Verwandten Weizen und Gerste auch. In den ältesten Fundstätten des fruchtbaren Halbmondes, die auf den Übergang von Sammlern zu Ackerbauern hinweisen, finden sich tatsächlich ebenfalls zahlreiche Überreste von Roggen. Doch dann verschwindet Roggen von der Bildfläche. Er breitet sich nicht mit den übrigen Kulturpflanzen gen Westen aus. Erst in der europäischen Bronzezeit zu Beginn des zweiten Jahrtausends vor Christus treffen wir wieder auf Roggen. 
Was war geschehen?

 Wenn es auch keine alten Proben sind, die ich untersuchte, so konnte ich dennoch einen ersten Blick in die Genome domestizierter und wilder Roggenpflanzen unterschiedlicher Herkunft werfen. Wie es vorangegangene Studien bereits nahegelegt hatten, zeigten sich genetisch deutliche Unterschiede zwischen zentraleuropäischem und nahöstlichem Kulturroggen. Letzterer ließ sich dabei aber genetisch nicht von seinem wilden Vorfahren unterscheiden. 

Der russische Botaniker und Genetiker Nikolaj Vavilov begann bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts durch umfangreiche Studien Licht in die Beziehung zwischen unseren Kulturpflanzen und ihren Wildformen zu bringen.
Und war es auch, der die Idee formulierte, dass Roggen, als Unkraut getarnt, gemeinsam mit Weizen und Gerste nach Europa kam. Hier war es kälter als in den ursprünglichen Herkunftsgebieten und die Böden kärger – Bedingungen, mit denen Roggen erheblich besser umgehen kann als seine engen Verwandten. Das vermeintliche Unkraut bot somit reichere Erträge und auch wenn sich Roggen im Vergleich zu Weizen schwerer verarbeiten lässt, so fanden sich doch schnell Wege, aus Roggen wunderbare Lebensmittel herzustellen. 

Der Ursprung als Unkraut und die Tatsache, dass Roggen am östlichen Rande Europas und in Südwestasien noch heute als unerwünschter Gast in Weizen- und Gerstenfeldern zu finden ist, stehen auch mit meinen genetischen Daten im Einklang.

Nur die Proben vom westlichsten Zipfel Europas fallen aus dem Muster. Roggen aus Spanien und Portugal ähnelt genetisch seltsamerweise nicht den Proben Zentraleuropas, wohl aber denen des Nahen Ostens. 

Wie kann es sein, dass sich die Pflanzen aus geographisch so weit voneinander entfernten Regionen so sehr ähneln, während sich der Zwischenraum so deutlich unterscheidet? 

Die iberische Halbinsel ist von ihrer bewegten Geschichte geprägt, in der die verschiedensten Gruppen von Menschen die Vorzüge dieses Landstrichs zu nutzen wussten. Die ersten Ackerbauern brachten mit dem klassischen neolithischen Paket jene, auch im Rest Europas bekannten Kulturpflanzen. Vor 3000 Jahren kamen die Phönizier als Händler entlang der nordafrikanischen Küste und durch das Mittelmeer. Sie brachten Wein und Oliven sowie Hirse und Hafer. Später kamen die Griechen mit mehr Oliven, gefolgt von den Römern mit mehr Wein. Der Beginn der Reconquista durch den Einzug der Mauren, wie die Phönizier über die Straße von Gibraltar, machte Getreide auf der Halbinsel wieder wichtiger.

Neugierig geworden warf ich einen Blick in andere Getreide und tatsächlich stieß ich auf ein ähnliches Bild bei Gerste und noch deutlich stärker ausgeprägt bei Dinkel. Sogar sprachlich unterscheiden sich Gerste (cebada) und Roggen (centeno) im Spanischen von den Wörtern der anderen romanischen Sprachen, die alle auf das lateinische Secale zurückgehen. Möglicherweise kamen diese Wörter aus dem arabischen Raum auf die Halbinsel, doch vieles der lateinischen Etymologie liegt im Nebel der Vergangenheit.

Zwar war es mir nicht möglich, abschließende Antworten zu geben, denn noch steckt die Erforschung der Domestikationsgeschichte unserer Kulturgetreide in ihrer Jugend. Mit meiner Arbeit konnte ich dennoch Licht auf ein paar Puzzlestücke im großen Gesamtbild werfen und zugleich neue Fragen in den Raum stellen. 

 

Es bleibt uns also nur, weiter zu forschen. 

Zumindest für mich ist das der Reiz der Wissenschaft. Meine Neugier wird weiter angetrieben durch die Karotte vor meiner Nase … 

… oder sagen wir durch ein himmlisch duftendes Roggensauerteigbrot.

weiße Box
The Journey
error: Sorry, aber wenn du Interesse an meinen Bildern hast, dann schreib mir doch bitte.